Loewenmut

Das Fanzine für alle Löwenfans und den Rest der Welt

Aus Heft 9: Bangkok-Paul – Eulen nach Athen

»Athen is wia Freising«

An einem Sonntag Abend im Juni 2010, nach erfolgreicher Öffnung einer Flasche Bier, packte ich meine gestern erstandene Sonderangebots-DVD aus, gespannt auf einen mir komplett unbekannten Film. Irgendwas mit Tigerkrallen, Lotoshainen (gibt es das wirklich? Ich dachte immer, das wären Wasserpflanzen?) und Samurai. Nein, es waren irgendwelche Samurai im Zeichen des Lotos, und Bambushaine. Ich hatte mich verlesen, der Tag war doch anstrengend. Naja, für 2,99 sicher ein toller Film, genau das richtige jetzt. Schwarzweiß.

Der Ober-Samurai hält gerade eine Ansprache; bedeutungsvoll und etwas langweilig. Ich schaue auf die Uhr, kurz nach Zehn. 'Eigentlich genau die richtige Zeit, dass irgend ein Depp anruft und nervt', denke ich mir, 'immerhin ist heute der Dreizehnte', und versuche den Gedanken sofort zu verdrängen. Umsonst: Das Telefon läutet. Ich schalte den Film auf Pause - der Ober-Samurai hält sein komisches Brotmesser gerade dekorativ in den Vordergrund - und gehe dran.

»Paul, du Arsch, ich hoffe, du hast Dünnschiss und Herpes. Ich habe jetzt Feierabend und keinen Sinn für deinen Schmarrn!« - »Aber i bin doch gar ned da Paul, i bin da Haddi«, kommt es fast erschrocken zurück. »Na gut, das ist etwas anderes. Lange nichts mehr gehört von dir. Wie gehts denn so?« - »Gut eigentlich, aber nicht ganz. Ich habe hier eine Fuhre für eine Auktion in Athen, aber so ein blöder Bulle hat mir gerade den Lappen gezwickt ... dumme Sache.« - »Also, du willst mich fragen, ob ich Zeit habe, dir die Karre runter zu fahren, ja?« - »Ja.« - »Hmm. Und wann?« - »Morgen Früh ... ich habe das Wohnmobil schon ausgeliehen, alles eingepackt, einen Autoatlas besorgt, die Fähre rausgesucht und so ...« - »Aber klar doch. Ein kleiner Ausflug in den Süden, Eulen nach Athen bringen ... fünf Uhr, nehme ich an?« - »Ja, es sind tatsächlich Eulen dabei, aus Porzellan. Woher weißtn du des? Einen zweiten Fahrer bräuchten wir noch ... neun Uhr reicht.« - »Malaka. Ich ruf jemanden an und frage. Melde mich dann wieder.« - »Tschü-ü-ü-ü-ss (klack).«

Ich schaue auf die Samurai-Klinge auf dem Bildschirm. Ja, das ist ein Anlass für süße Rache an einer Nervensäge ... also wähle ich die 'Nummer des Schreckens'.

»Na du Arsch, ich hoffe, du hast Dünnschiss und Herpes«, kommt es aus dem Hörer. »Weißt du, wieviel Uhr es ist?« - »Na, Paul, es ist unsere übliche Telefonzeit. Dünnschiss können wir im Moment gar nicht brauchen, weil ... ich hätte hier einen kostenlosen Kurzurlaub für dich, du musst vielleicht einen Teil der Strecke fahren. Abfahrt morgen Früh um 9.« - »Feine Idee, mir ist eh fad. Ich stelle keine Fragen ...« - »Also, wir treffen uns beim Haddi im Laden, den kennst du ja auch.« - »Bei dem Antik-Heini?« - »Das war eine Frage, Paul. Ja, genau dort.«

So begab es sich, dass sich ein illustres, etwas chaotisches Trio in einem ältlichen Wohnmobil langsam aber unerbittlich in Richtung Athen bewegte. Er wolle bei den Hafenbehörden von uns als 'Onkel' angesprochen werden, instruierte uns Haddi, damit alles nach Familienurlaub aussieht, und die Taucherflasche hier sei etwas ganz besonderes, eine Einzelanfertigung, die sonst niemand hat, man könne sie nämlich aufschrauben, ein ideales Versteck. Ansonsten sei alles ›i-i-isi‹, niemand schmuggle Antiquitäten nach Griechenland rein, absolut sichere Sache. Ich bestand darauf, die letzte Strecke ab Patras selbst zu fahren, und Paul musste versprechen, mit keinen Uniformierten zu reden. Die Fahrt verlief weitgehend ereignislos. Keine Panne, kein Grünzeug, die Zeit reichte sogar für einen kurzen Ausflug zum Meer - Rimini - und einen Cappuccino am Strand. Paul fuhr freiwillig und sogar zivilisiert die anschließende Strecke bis Bari, fand sogar den Fährhafen auf Anhieb.

Agoudimos Lines

Auf der Fähre war noch Platz, Haddi zahlte ohne Feilschen den geforderten Preis in bar. Alle waren guter Laune. In der Bar der Fähre soff Paul mit einer gemischten argentinisch-griechischen Gruppe; es waren wohl einigermaßen prominente Fußballer dabei; ich hielt mich trotzdem raus, wollte nach der Anlandung fit sein. Haddi flirtete erfolglos auf dem Sonnendeck - ich hatte also meine Ruhe, saß die meiste Zeit im 'Salon', schaute Fernsehen und schlief dann im Sessel - 'airplane-type seat' - ein.

Nach der Ankunft in Patras wurden unsere Ausweise flüchtig begutachtet; ein Polizist sah sich im Wageninneren um. Er griff zielsicher die Taucherflasche, schraubte sie auf, grinste und meinte: »I know all tricks. Nobody can fool Greek harbour officer.«

Die Bananenkisten mit der Ware interessierten ihn nicht. Auch Paul machte keine Probleme - er schlief friedlich auf der Rückbank und roch ein bisschen nach Bier und nach Anis. Haddi brauchte eine knappe halbe Stunde, um sich von dem Schrecken mit dem ausgebufften Hafenpolizisten zu erholen, dann fing er an, mir Geschichten zu erzählen. Nach ein paar Jahren gemeinsamer Stammkneipe kannte ich die Geschichten schon alle, aber das lenkte vom Verkehrs-Chaos ab und ließ die Zeit schneller vergehen.

Athen

Wenige Stunden später passierte der Bus das Ortsschild von Athen. Ich fuhr an einer Tankstelle hinaus und fragte nach dem Weg. Der Tankwart hatte keine Ahnung, aber ein Kunde erklärte mir, ich solle immer in Richtung Akropolis fahren und mich dann rechts halten. Dann käme das alte Stadion, und unsere Adresse sei eine Nebenstraße, die man leicht findet. Ich erklärte ihm, dass ich ein großer Fan alter Stadien bin; das gefiel ihm sehr. Ich versprach ihm, das Stadion zu besichtigen. »Sixt es«, meinte Haddi, »Athen is wia Freising, da kannst di garned verfahrn, da orientierst di einfach am Berg in der Middn.«

Im Nu war die Ware ausgeladen, und die Besitzerin des Auktionshauses vermittelte uns eine wirklich nette Unterkunft. Wir bleiben noch ein paar Tage, es war wirklich so etwas wie ein gemütlicher Familienurlaub mit 'Onkel' Haddi, dann fuhren wir nach Hause, und wie auf der Hinfahrt gab es keine besondere Vorkommnisse. Halt - bevor ich es vergesse: Ich muss euch noch von dem einen Abend in der Plaka erzählen; das genaue Datum weiß ich nicht mehr. Wir liefen also in der Altstadt umher, als uns ein älterer Herr ansprach und fragte, wie spät es sei. Paul zeigte ihm seine nachgemachte Rolex. Er bedankte sich und meinte: »For this favour, I do you a favour, too. I will show you to a typical Greek taverna in the neighbourhood.« Wir folgten ihm. Das angeblich typisch-griechische Wirtshaus entpuppte sich als ein recht schäbiger Puff. Doch jetzt waren wir dort und mussten wohl Geld abdrücken. Der Abend machte gute Anstalten, in die Hose zu gehen. Wir schlichen etwas begossen in Richtung Theke. Dort angekommen, winkte mir der Wirt zu. Ja, das war der Typ von der Tankstelle.

»Hello, my friend! Fine to see you! This restaurant is tourist trap. I show you better one!« Er führte uns tatsächlich zu einer wirklich feinen und lustigen Taverne und blieb dort mit uns. Nun - wir haben gut gegessen und getrunken, Haddi hat (nach eigenen Angaben) ›Souvlaki‹ getanzt, und der Puff-Wirt hat uns mit ein paar Leuten bekannt gemacht. Der Chef der Clique hatte einen sehr feschen und teuren Anzug an und stellte sich - in perfektem Deutsch - vor: »Ich bin, ich heiße, ich heiße - Jorgos, wie alle Griechen. Ich mag lustige Leute, die gerne feiern, und ich lade euch ein. Bevor ihr fragt: Ich sammle Autos, Schiffe und Fußballvereine. Mögt ihr Fußball?« - »Klar mögen wir Fußball«, erwiderte ich.

Es dauerte kaum ein paar Sekunden, bis sich eine heftige Diskussion über Trainer entbrannte. Jorgos war wirklich fit, er sammelte anscheinend tatsächlich Fußballvereine. »Rehakles ist inzwischen ein klassischer Gott«, behauptete er, doch Paul meinte, er kenne einen wesentlich besseren Trainer. »Besser als Rehakles? Paul, du spinnst. Wer soll denn das sein?« - »Ewald Lienen natürlich«, war sich Paul sicher. »Jorgos, hast du mitbekommen, was der aus unseren müden Löwen gemacht hat?« Bevor Jorgos antworten konnte, mischte sich Haddi ein: »Naa, i glaab, dass da Maddäus no fui bessa is«. Nach diesen Worten rutschte er vom Stuhl und legte eine kleine Schlafpause ein.

An den Rest erinnere ich mich nicht genau - wir haben noch fein weiter gegessen, getrunken und gefeiert. Und diskutiert. Nun ja, bis zur Rückreise hatten wir noch ein paar Tage zum erholen.

München

Wir haben einen Parkplatz direkt vor dem ›Hide-Out‹ gefunden und sitzen nun sehr gemütlich dort, zwar ohne Jorgos und den Puff-Wirt, aber ansonsten in vergleichbar feiner Runde.

»Schau moi«, meinte Haddi, »I hob doo was gschmuggld, untada Fuaßmoddn, Byzanz«, und legte einen Gegenstand auf den Tisch, der mich sehr an das Samurai-'Brotmesser' erinnerte, das vermutlich immer noch auf meinem Fernseher zu sehen war. »Pure INOX, Japan« las ich Haddi den Stempel vor, »wohl nicht der große Treffer.«

Paul grinste etwas bedöselt und meinte, er hätte bessere Beute. Auf der Hinfahrt mit der Fähre, die Feier mit den Argentiniern, da hätte er von Diego - nun ja, viele argentinische Fußballer heißen Diego - ein Autogramm verlangt und bekommen. Allerdings, ohne dass der Star-Stürmer das bemerkte, auf TSV-Briefpapier. Ein Vertrag, praktisch ... »Zeig mal her!« - »Bitte. Voilà.«

Ich las den Schrieb durch, es war tatsächlich ein Vertrag. Doch etwas auf dem Briefpapier machte mich stutzig: »Geschäftsführer: Dr. Stefan Ziffzer« ...

Jürgen kam an den Tisch: »Na, alles in Ordnung? Braucht ihr noch was?« - »Ja. Wodka. Viel Wodka.«

         Jakob Krieger

 


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