Loewenmut

Das Fanzine für alle Löwenfans und den Rest der Welt

Aus Heft 8: Gegenwinde! Ihr könnt uns alle einen blasen …

»Du spinnst dermaßen gewaltig!« höre ich ihn sagen.

Ich weiß, dass er recht hat. Aber ich werde jetzt hier fliegen; ich habs mir vorgenommen & bin extra dafür diesen Hügel heraufgekeucht. Der Nordwestwind passt einigermaßen; auch wenn er einen eigenartigen Geruch mit sich bringt. Aber das liegt wohl in der Natur dieser Umgebung.

So ganz ungefährlich ist es ja wirklich nicht, was ich da vor hab. Vor allem muss ich aufpassen, dass ich nicht nach dem Start in jenen Monsterventilator gerate, der hinter uns sein rhythmisches Pfeifen hören lässt. Aber schließlich hab ich ja einen Starthelfer für einen einwandfreien Ablauf & der Wind ist nun wirklich nicht so stark, dass er mich da gleich nach hinten ins Windrad verblasen würde.

Die Vorbereitungen sind nun abgeschlossen, mein Paragleiter liegt ausgebreitet auf dem Boden, die Leinen sind sortiert, noch ein letzter Check, alles passt.

»So! Ich hau mich jetzt raus« ruf ich meinem Spezl zu.

»Gut Flug!« antwortet er & hält mir die Vorderkante vom Schirm ein wenig in die Höhe, damit die Kappe sofort Wind schlucken kann. Ein kurzer Zug von mir an den Tragegurten & schon füllt sich das weiß-blaue Tuch mit Luft & steigt zügig über meinen Kopf. Ein wenig Bremse setzen, ein paar schnelle Schritte & ich hebe ab. Kaum zu glauben: sofort leichtes Steigen! Jetzt aber aufpassen, dass ich nicht in eine Luftschicht mit stärkerem Wind aufsteige; ist ja nicht ungewöhnlich, dass der Wind oben mehr bläst als unten.

Doch was ist das?

Plötzlich schießt der Schirm nach vorne, ich reiße die Bremsleinen durch bis untern Hintern, damit mir die Kappe nicht ganz abhaut, pendle wieder drunter rein & merke, dass der Wind auf einmal von hinten kommt! Wie gibt's denn das? Haben die den Propeller auf Motorbetrieb umgestellt, so dass er mich jetzt anschiebt? Wurschtegal! Wie dieser seltsame Effekt auch zustandekommen mag; mir kommt er sehr gelegen, der Rückenwind. Soll er mich ruhig anschieben!

Mit diesem unerklärlichen Südost im Rücken überquere ich zügig eine Autobahn & grinse beim Anblick der dort im Stau dampfelnden Blechschachteln. Aber ich sollte mich besser auf meine eigenen Angelegenheiten konzentrieren; ich brauch jetzt recht bald eine Aufwindquelle, sonst steh ich gleich wieder am Boden. Eine merkwürdige große, runde, reifenförmige Struktur ein Stückchen nordwestlich zieht meine Aufmerksamkeit auf sich; könnte die mir Thermik spenden? Ich fliege darüber.

Die Struktur hat eine Vertiefung in der Mitte, in der blutigrote Sprenkel erkennbar sind. Aber viel zu wenig Sonne kann in dieses tiefe Loch scheinen. So können zwar eigentümliche grunzende Geräusche daraus hervor zu mir nach oben dringen, aber Aufwind kann sich dort keiner entwickeln. Also drehe ich ab nach Süden & lasse dieses seltsame Artefakt hinter mir, das von oben aussieht wie eine riesige Rosette; wie der Arsch der Welt.

Südlich davon breitet sich eine Wüstenlandschaft aus; da müsste doch was gehen; ich will hier nicht landen müssen. Jawoll! Schon bald greift die erhitzte Steppenluft von unten in mein Segel. Ich kreise ein & schnell wird diese surreale Landschaft immer kleiner, als ich Höhe gewinne.

Auf meinem Flug nach Süden wird die Landschaft langsam freundlicher. Einige Felder & immer mehr Gärten erfreuen mein Auge & aus meiner gewaltigen Höhe erkenne ich ein Stadtgebiet & linkerhand einen Flusslauf mit umfangreichen Auen. Solche Kontraste mit Temperaturunterschieden, die aufgeheizte Stadt hier, die kühlen Flussauen da, sind thermisch oft sehr ergiebig & so steuere ich ihren Grenzbereich an. Und prompt: es trägt. So folge ich dem Flusslauf nach Südsüdwesten auf seinem Weg mitten durch die Stadt.

Ich lehne mich zurück & genieße diesen wunderbaren Flug. Wenn ich nach oben gucke, verschmilzt das Weiß-Blau meines Schirms förmlich mit dem Blau des Himmels & dem Weiß der kleinen Wolken, die dort vereinzelt schweben. Kann es einen schöneren Anblick geben?

Wie lange bin ich nun schon in der Luft? Ich weiß es gar nicht mehr.

Aber mein Höhenvorrat ist inzwischen recht geschrumpft, die Aufwinde sind nicht mehr so üppig, es ist schon spät. Zeit, an die Landung zu denken. Die Kiesbänke am Flussufer würden sich durchaus anbieten. Doch auch ein anderer möglicher Landeplatz links vom Fluss zieht meinen Blick auf sich & lockt: eine große rechteckige Wiese, eingebettet in eine Art Trichter, der sich weit & einladend nach oben öffnet. Wie von selbst schwenkt mein Schirm in diese Richtung ein.

Ja, dort werd ich landen!

Im Anflug bemerke ich, dass auf meiner auserkorenen Landewiese Leute sind, Gestalten, die sich hektisch kreuz & quer durcheinander bewegen. »Na gut,« denk ich, »die werden mir dann schon Platz machen, wenn ich mit meinen 25 Quadratmetern Gleitsegel angerauscht komme«. Doch sie beachten mich nicht, sie haben nur Augen für die weiße Kugel, die sie mit kraftvollen Fußtritten hin & her über die Wiese befördern. Die werden mich mit dem Ding doch nicht abschießen?

Aber ich befinde mich bereits im Landeanflug & kann mir keinen anderen Ort mehr suchen; ich muss hier landen, da hilft nichts.

Schon schwebe ich in dem steinernen Trichter auf das Grün zu. Es ist laut; ich höre Melodien, die von den Trichterwänden zurückgeworfen werden. Die Hälfte der Leute dort unten scheint von dem Radau regelrecht angetrieben zu werden. Sie schauen aus wie mein Schirm, weiß-blau, & sie rennen vor mir her & bugsieren die Kugel auf das Ende der Wiese zu, wo ein rechteckiger Rahmen steht. Es scheint sie nicht sonderlich zu stören, dass die anderen, in abstoßendes Rot gehüllten Gestalten sie daran zu hindern versuchen. Doch einer von denen hat noch nicht aufgegeben. Ein derber Rempler, ein Ziehen am Hemd & mit einem fürchterlichen Tritt drischt die rotgekleidete Figur die Kugel weg vom Wiesenende genauin meine Flugbahn. Groß & größer wächst der Ball in meinen Augen, als er sich bedrohlich nähert. Und während ich noch versuche, mich darauf vorzubereiten, das Geschoss aus meiner Flugbahn zu kicken, ist es schon da & wie von selbst schnappen meine Beine zu wie die Fangbeine einer Gottesanbeterin. Fest klemmt das Leder zwischen meinen Unterschenkeln; der Airbag, auf dem ich sitze, hat dem Ball die Wucht genommen & meine Wadln halten ihn nun umklammert.

Eigentlich müsste ich ihn sofort wieder loslassen, denn gleich werde ich die Bremsen durchziehen & am Boden aufsetzen & da muss ich doch laufen können. Doch das komische Männchen da vorne, das so finster guckt, breitet seine großen Handschuhe aus & erwartet mich ganz eindeutig.

Den Gefallen werd ich ihm tun; oh ja! Ich öffne ein letztesmal die Bremsen, mein Schirm holt folgsam Schwung. Das Männchen vor mir hat begonnen, mir entgegenzurennen; mit langen Schritten kommt er auf mich zu.

Der Lärm rundum schwillt zu einem Tosen an. Weit ziehe ich meine Bremsen, als das Männchen zu einem Spurt ansetzt. Fast schon drohen seine behandschuhten Pratzen nach dem Ball zu grabschen, doch mein überbremster Flügel bleibt förmlich in der Luft stehen & ich pendle ein Stück nach oben.

Jetzt lösen meine Beine ihren Klammergriff & der Ball vollführt befreit einen hohen Bogen.

Die Handschuhe meines Gegenübers greifen ins Leere, sein Blick folgt erstaunt der Flugbahn des Balles, die über seinen Kopf hinweg in das Netz führt, das sich hinter dem eckigen Rahmen spannt, mit einem fröhlichen »Bauz« kollidiert der Handschuhmann mit meinem Airbag & dann plumpse ich das letzte Stück zu Boden.

Da sehe ich in meinem rechten Augenwinkel ein gelb-orangenes Flämmchen flackern & es ertönt ein schriller Pfiff. Abseits?! Das war doch nie im Leben Abseits! Ein zweiter Pfiff dringt an mein Ohr.Verdutzt schüttle ich den Kopf & blinzle; das kann doch gar nicht sein.

Beim dritten Pfiff öffne ich mühsam die Augen.

Es ist der Scheiß-Wecker auf meinem Nachttisch, der da pfeift.

         Andy

 


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