Loewenmut

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Aus Heft 8: Ein Blick in das System 1860 – wie funktioniert der TSV wirklich?

Eine Antwort von Dr. Alex Mutschler, Mitglied der Satzungskommission 2007/08, auf den Artikel »wie funktioniert der TSV 1860« von Wolfgang Hauner in »Die Sechzger« 4/08

Der TSV 1860 gibt sich gerne als ein Verein zum anfassen, als volksnaher Verein. Besucht man das Trainingsgelände und das Löwenstüberl und erlebt dort die Nähe zur Mannschaft, so scheint sich das auch zu bestätigen. In einem volksnahen Verein, so könnte man annehmen, haben die Mitglieder sicher auch die Möglichkeiten, sich direkt an den Entscheidungsprozessen im Verein zu beteiligen. Dieses Bild vom demokratischen Verein zeichnet der Verein auch gerne selber. Der ehemalige Abteilungsleiter der Fußballabteilung Wolfgang Hauner hat in einem Artikel in der Vereinszeitung »Die Sechzger« 4/08 darauf verwiesen, alle Gremien des Vereins wären letztendlich zumindest indirekt durch Wahl von den Mitgliedern abgesichert. Somit sei der TSV als »demokratisch und auch mitbestimmend zu titulieren«. Präsident Beeck nahm auf der letzten Abteilungsversammlung der Fußballabteilung für die Beschreibung der Strukturen bei 60 sogar das Wort Basisdemokratie in den Mund. Blickt man aber genauer in die satzungsgemäßen Strukturen des TSV, dann ergibt sich dort ein differenzierteres Bild.

Bei 60 gibt es keine Mitglieder-Vollversammlung als oberstes Vereinsorgan. So etwas gibt es bei jedem Kaninchenzüchter- oder Kleingartenverein, bei jedem Verein aus der C-Klasse ebenso wie bei fast alle Vereinen im deutschen Profi-Fußball, aber eben nicht beim TSV 1860. Auch die Lizensierungsordnung der DFL sieht übrigens eine Mitgliederversammlung vor. Ich war und bin Mitglied bei so manchem Verein, aber der einzige, bei dem ich bislang nicht die Möglichkeit hatte, jährlich auf eine Mitgliederversammlung zu gehen, ist der TSV 1860. Somit funktioniert der TSV eben nicht, wie in Herrn Hauners Bericht ausgeführt, wie jeder andere Verein.

Stattdessen wählen die Mitglieder in ihren abteilungen alle drei Jahre Delegierte, die als Delegiertenversammlung das oberste Vereinsorgan bilden. Mehr Mitwirkungsmöglichkeit im Gesamtverein gibt es für das einfache Mitglied nicht. Wo hier Mitbestimmung oder gar Basisdemokratie sein soll, ist mir nicht wirklich ersichtlich.

Als Begründung dafür wird gerne angegeben, dass bei einem so großen Verein mit 20.000 Mitgliedern die Organisation einer solchen Veranstaltung schwierig sei. Das mag sein, aber beim Vermieter des Arbeitsplatzes unserer Profis ist das auch möglich - und die haben sogar eine deutlich höhere Mitgliederzahl als der TSV. Wenn dies nicht als Eingeständnis der Verantwortlichen bei 60 verstanden werden soll, sie hätten weniger organisationstalent als die Roten, dann sollte man dieses Argument nochmals überdenken.

Ein weiteres Argument ist die Unberechenbarkeit einer solchen Versammlung, die ja sehr leicht emotionalisierbar sei. An dieser Stelle wiederhole ich meine Frage, die ich auf der letzten Fußball-Abteilungsversammlung gestellt habe: Halten der Verein und seine Funktionäre uns Mitglieder wirklich für so unmündig, dass man uns von den Entscheidungsprozessen fernhalten muss? Sollte dies so sein, dann liebe Verantwortliche in den Gremien, dann seid doch bitte so ehrlich und sagt das auch so. Schreibt über die nächste Mitglieder-Werbekampagne: »Liebe Leute, werdet Mitglied, denn wir wollen euer Geld aus den Beiträgen. Ansonsten wollen wir aber, dass ihr Euch nicht weiter für das, was so im Verein passiert, interessiert. Und schon gar nicht wollen wir, dass ihr euch irgendwie einmischt, denn das versteht ihr doch alles gar nicht, denn dafür halten wir euch für zu blöd.«

Wie sehr dieses Delegiertensystem auf der einen Seite dazu beiträgt, Fraktionsdenken und Parteibildung innerhalb des Vereins zu befördern, und auf der anderen Seite in Verbindung mit dem Mehrheitswahlsystem dazu führt, dass Teile der Mitglieder, darunter wichtige Funktionsträger wie Jugendleiter oder Schiedsrichterobmann, nicht in der Delegiertenversammlung vertreten sind, hat die letzte Versammlung der Fußballabteilung ja sehr deutlich gezeigt.

Nun gut, wird mancher jetzt sagen, dann ist das eben ein System repräsentativer Demokratie. Herr Hauner spricht in seinem Bericht davon, die Delegierten sollten »die Belange ihrer Abteilung vertreten und nach dem Willen der Mitglieder handeln«. Nur gab es bislang zumindest in der Fußballabteilung durch die nur alle drei Jahre stattfindende Abteilungsversammlung keinerlei Möglichkeit, dass die Abteilung und damit die Delegierten und die einfachen Mitglieder zusammen kommen, damit die Delegierten durch die Abteilungsleitung über Belange der Abteilung informiert werden und von den Mitgliedern deren Meinungsbilder vermittelt bekommen. Hier ist durch den Beschluss der letzten Abteilungsversammlung, nun jährlich eine Versammlung durchzuführen, zumindest Besserung in Sicht.

Aber das Delegiertensystem bei den Löwen hat noch ein weiteres Problem, nämlich dass diese Delegierten so gut wie nichts zu sagen haben in diesem Verein.

Nehmen wir die Wahl des Präsidenten, das wäre doch eine schöne Aufgabe für die Delegierten. Nicht so bei 60. Das Präsidium wird hier vom Aufsichtsrat bestimmt. Die Delegiertenversammlung hat dies nur noch zu bestätigen, was sie in der Regel tun wird, schon wegen der Außenwirkung (»Chaosverein 1860«), die eine verweigerte Bestätigung des Präsidiums haben würde. Die Hersteller der in München täglich erscheinenden Druckerzeugnisse warten ja nur auf so etwas.

Aber den Aufsichtsrat, den wählt doch die Delegiertenversammlung, wird jetzt mancher sagen!? Nur ist diese Wahl eine, die diesen Namen nicht verdient. Denn der Delegiertenversammlung wird ein Block von neun Aufsichtsräten durch den Wahlausschuss vorgelegt und die Delegierten können diesen Block dann abnicken. Eigentlich ist dies also auch eher eine Bestätigung als eine Wahl, denn eine Wahl im Sinne von Auswahl haben die Delegierten nicht. Auch hier gilt, dass eine Nichtwahl aus dem schon genannten Grund der Außenwirkung eher unwahrscheinlich ist.

Aber der Wahlausschuss hat aber doch sicher Kriterien, nach denen er diesen Block zusammenstellt!? Nein, die gibt es nicht. Der Wahlausschuss sucht aus allen Kandidaten, die sich für das Amt des Aufsichtsrates bewerben, nach eigenem Gutdünken neun aus. Warum Kandidaten abgelehnt werden, muss nicht begründet werden.

Aber dieser Wahlausschuss, der damit über große Macht und Verantwortung verfügt, wird doch dann wohl von den Delegierten gewählt, schon um durch das oberste Vereinsorgan seine Legitimation zu erhalten!? So schlägt es übrigens auch die DFL in ihrer Lizensierungsordnung vor. Auch das ist beim TSV 1860 aber nicht so. Der Wahlausschuss wird bei 60 vom Vereinsrat bestimmt.

Aber Vereinsrat ist doch durch die Mitglieder legitimiert!? Hier wird es nun schwierig. Der Vereinsrat setzt sich aus dem Präsidium, einem Seniorenvertreter, zwei Jugendvertretern und den zwölf Abteilungsleitern zusammen. Hinzu kommt ein Vertreter des Aufsichtsrats, der dort aber kein Stimmrecht hat. Entscheidungen trifft der Vereinsrat mit einfacher Mehrheit. Der Vereinsrat ist, vergleicht man ihn mit der Politik, so etwas wie der Bundesrat. Im Bundesrat kommen die Regierungen der Bundesländer zusammen, im Vereinsrat die Abteilungsleiter der Abteilungen des TSV. Grundsätzlich ist ein solches Gremium, das eine Verbindungsstelle zwischen den einzelnen Abteilungen schafft, etwas positives. Klar ist der Fußball das, was als erstes mit den löwen in Verbindung gebracht wird, aber der TSV München von 1860 ist mehr. 60 ist ein großer Münchner Sportverein, in dem in zwölf Abteilungen verschiedenste Sportarten betrieben werden. Gerade auch diese Vielfalt, die es zu bewahren und zu fördern gilt, ist ausdruck dessen, dass 60 eben ein Verein ist und kein rein kommerziell ausgerichtetes unterhaltungsunternehmen auf Fußballbasis, wie man es in der Schäbigen Straße findet.

Im Bundesrat aber, um bei dem Vergleich zu bleiben, haben die einzelnen Bundesländer bei den Abstimmungen unterschiedlich viele Stimmen, je nach Einwohnerzahl. Das ist bei 60 im Vereinsrat anders. Jeder Abteilungsleiter hat, egal wie viele Mitglieder die Abteilung hat, das gleiche Stimmrecht.

Das bedeutet aber, dass die elf Abteilungsleiter (ohne Abteilungsleiter Fußball) die Mehrheit dieses Gremiums stellen. Zwar sind die Abteilungsleiter alle in ihren abteilungen von den Mitgliedern gewählt, aber bei der Mitgliederstruktur des TSV sind das zusammen etwa 10 Prozent der Mitglieder. Das bedeutet, ein Gremium, das in seiner Mehrheit von gerade mal einem Zehntel der Mitglieder gewählt ist, trifft Entscheidungen, die für den Gesamtverein von zentraler Bedeutung sind. Dies ist unter dem Gesichtspunkt der Legitimation kritisch zu bewerten. Provokant könnte man sagen 2.000 Nichtfußballer haben das elffache an Einfluss wie 18.000 Fußballer. Oder noch provokanter: Vier ringer zählen in Bezug auf den Vereinsrat so viel wie 18.000 Fußballer.

Diese 18.000 Fußballer sind aber größtenteils Fans, die man zwar gerne als Beitragszahler im Verein hat, die aber ansonsten am liebsten als passive Konsumenten und Kunden gesehen werden. Deshalb verwehrt man ihnen auch, wo es nur geht, Mitwirkungsmöglichkeiten über die Gremien des Vereins und baut Instrumente in die Satzung ein, damit sie keinen Einfluss haben können. Dies geht so weit, dass die Mitglieder nicht einmal souverän bei der Wahl ihrer Abteilungsleiter sind. Denn jeder Abteilungsleiter muss durch den Vereinsrat bestätigt werden. Wird der das nicht, so bestimmt der Vereinsrat einen, der die Abteilungsleitung übergangsweise übernimmt. Die Verweigerung der Bestätigung muss der Vereinsrat übrigens nicht begründen. Das bedeutet, elf Abteilungsleiter, die nichts mit Fußball zu tun haben und die von 2.000 Mitgliedern, die nichts mit Fußball zu tun haben, gewählt sind, können 18.000 Mitgliedern der Fußballabteilung dahingehend kontrollieren, wer dort Abteilungsleiter wird. Übrigens hat der Vereinsrat damit auch die Möglichkeit, selbst darüber zu bestimmen, wer seine Mitglieder sind. Aber diese 18.000 sind ja überwiegend Fans, und wo käme man da hin, wenn die unkontrolliert irgend etwas wählen könnten. Und es ist zumindest so, dass in den Fällen, in denen der Vereinsrat Abteilungsleiter nicht bestätigt hat (ja so etwas gab es schon, wenn auch nicht bei der Fußballabteilung), man die Frage stellen kann, ob diese Entscheidungen nicht vielleicht auch von vereinspolitischen Interessen bestimmt waren.

An dieser Stelle sei kurz auf die immer wieder im Raum stehende Behauptung, Fans sollen keine Vereinspolitik machen, eingegangen werden.

Die Fans stellen beim TSV 1860 die Mehrheit der Mitglieder dar. Sie haben die gleichen Rechte wie jedes andere Mitglied, auch was ihr Engagement in der Vereinspolitik angeht. Wenn das nicht gewünscht ist, dann, liebe Gunktionsträger, müsstet ihr konsequenterweise sagen, Fans sollen keine Mitglieder im Verein sein.

Ich als Fan bin gerne und aus tiefster Überzeugung Mitglied im Verein. Ich als Fan, der keinen Sport im TSV aktiv treibt, habe ja eigentlich nichts von der Mitgliedschaft. Die paar Prozente im Fanshop oder beim Tticket-Kauf sind auch nicht der Grund, warum tausende von Fans auch Mitglied sind. Die mitgliedschaft im Verein ist tatsächlich für all diese Fans und auch für mich, wie es im Bericht der Fußballabteilungsleitung zur letzten Delegiertenversammlung genannt wurde, eine Herzensangelegenheit. Wie wäre es denn zur Abwechslung, wenn das auch mal mit etwas Respekt gegenüber den Fans, die auch Mitglieder sind, beantwortet würde? Dazu würde es reichen, ihre natürlichen Rechte als Mitglieder nicht immer wieder in Frage zu stellen.

Wenn man dies alles betrachtet, dann ist der TSV 1860 kein Volksverein, sondern ein Verein der Funktionäre und Gremien, in dem die Mitglieder von allen wichtigen Entscheidungsprozessen weitestgehend ausgeschlossen sind. Ich habe in den letzen Jahren bei den verschiedensten Diskussionen hierzu immer wieder den Satz gehört: »Man müsse halt auch Vertrauen in Funktionäre und Gremien haben«. Die Einmischung in die Vereinspolitik auf Gremienebene durch die Fans begann mit der Delegiertenwahl der Fußballabteilung 2006 und dem Auftreten von Pro-1860 (sorry Arge, aber ihr wisst selbst, was ihr in der Zeit davor getrieben habt). Kurz davor stand der Verein knapp vor dem Aus. Zu dem Zeitpunkt hatte der Geschäftsführer der Tochtergesellschaft des Vereins, der KGaA, die Anteile an der Arena bereits verkaufen müssen, um die Insolvenz abzuwenden. Die Entscheidungen, die in diese Lage geführt haben, kamen von Gremien und Funktionären und nicht von den Fans. Vielleicht sollte so mancher, der in der Vergangenheit in den Gremien vertreten war, mal darüber nachdenken, dass man sich Vertrauen auch verdienen muss. Der angesprochene Artikel von Herrn Hauner endet mit der Aussage: »Alles entscheidend ist jedoch, wie eine Satzung gelebt wird«. Die bestehende Satzung ist eine, die die Basis, egal in welcher Form, ob als Delegierte, Mitglieder oder eben »nur« Fans, wo es nur geht, von den Entscheidungsprozessen ausschließt. Und genau so ist sie auch lange gelebt worden.

Es ist endlich an der Zeit, dass sich daran etwas ändert.

         Dr. Alex Mutschler

 


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