Wir wollen euch die Geschichte einmal aus einem anderen Blickwinkel heraus erzählen: aus dem der kritischen und aktiven Fans aller Schattierungen, die sich letzten Herbst mittels Löwenforum unter dem Dach »Pro 1860« zusammengerauft haben. Wir haben einige Hauptbeteiligte zu einem Gespräch geladen: Petra Wagenbüchler, Roman Beer, Daniel Graßold, Hans Vonavka und Florian Zenker. Der folgende Bericht ist auf dieser Grundlage entstanden und von allen Teilnehmern autorisiert worden.
Die Geschichte des TSV in den letzten 15 Jahren war die Geschichte Wildmosers. Es ging um Macht und deren Absicherung. In der Jahreshauptversammlung 2000 wurde das erste Mal der Versuch gestartet, sein unseliges Wirken über die Wahl der Delegierten einzuschränken. Auf dem Höhepunkt seiner Macht war es ihm ein leichtes, diesen Versuch an angeblichen Formfehlern scheitern zu lassen. Die ersten gaben frustriert auf und verließen den Verein. Wesentlich mehr noch bestritten diesen Weg nach dem Stadion-Bürgerentscheid im Oktober 2001. Bei der nächsten Jahreshauptversammlung waren es nur noch 29 Mitglieder, die Wildmoser die Zustimmung versagten. Ein Jahr später waren er und sein Sohn jedoch nur noch unrühmliche Vergangenheit des Vereins. Es kam Auer. Man muss ihm eins hoch anrechnen: Mit dem Wechsel ins Sechzger kam frischer Wind in den Verein und viele, die 60 in den letzten Jahren den Rücken gekehrt hatten, kamen zurück.
Es folgte Lehner, ein Übergangspräsident, der wenigstens keine Berührungsängste mehr hatte und einen demokratischeren Verein wollte. Unter diesen beiden Präsidenten suchten Leute der sogenannten Unorganisierten sehr vorsichtig den Dialog mit dem Verein. Dieser Trend verstärkte sich durch die Gründung von
Im Jahre 2005 kam eine Kerngruppe von ca. 40 bis 50 Leuten zusammen, um ein Sprachrohr für alle Unorganisierten zu bilden und diese auch im Verein und dessen Delegiertensystem zu vertreten. Darüber hinaus wollte man aktiv an der Überwindung der Wildmoserschen Fanspaltung arbeiten. Bei mehreren Treffen entstanden Programm und Name. Anfangs sollte es kein Verein werden, deshalb wurden nur Ansprechpartner für die interessierten Fans bestimmt. Schnell wurde klar, dass ein eingetragener Verein doch Vorteile bietet. PRO 1860 e.V. wurde gegründet.
Im Verein wurde PRO 1860 zunächst als Ansprechpartner akzeptiert. Der eine oder andere im Verein schien sogar froh zu sein, aus den Reihen der »Unorganisierten« feste Ansprechpartner zu bekommen. Später wurde PRO 1860 allerdings immer wieder mit dem absurden Vorwurf konfrontiert, »zu jung« zu sein. Dabei sind viele der Mitglieder seit Jahrzehnten Löwen und stammen aus den verschiedensten Fangruppierungen und ARGE-Fanclubs. Die schnell wachsende Unterstützerschar erleichterte das Vorhaben, mit einer Liste an der Delegiertenwahl teilzunehmen.
Ziel war, eine Sperrminorität (25 Prozent der Delegierten plus 1) zu erreichen. Es sollte verhindert werden, dass es nochmals einem Sonnenkönig so leicht gemacht werden könnte, die Satzung nach seinem Gusto zu verbiegen oder durch Ausgliederungen Vereinsvermögen der Verantwortung der Mitglieder zu entziehen. Bis zum Abgabetermin der Wahlvorschläge waren 124 Kandidaten gefunden, deren gemeinsame Basis das PRO-1860-Grundsatzprogramms war. In diese Zeit fiel der »Offenbarungseid« der KGaA-Geschäftsführung: weniger als ein Jahr Allianz-Arena hatte genügt, den Verein faktisch in die Insolvenz zu treiben. Die blanke Wut spornte viele langjährige Mitglieder zusätzlich an, sich aktiv in die Vereinspolitik einzubringen.
Der von Wildmoser für seine Zwecke instrumentalisierte Fan-Verband hatte bisher die Mitglieder und damit auch die Delegiertenversammlung dominiert. Nachdem der ARGE-Führungsriege der traditionelle Mentor abhan den gekommen war, folgten zwei Jahre der Rat- und Orientierungslosigkeit. Die neuen Lieblinge wechselten in atem beraubender Geschwindigkeit: Auer, Seibert, Hauner, Burkei, Hohlmeier, Steiner haben wir jemand vergessen? Sicher nicht mit dabei war der Münchner OB Ude. Dessen Abwahl aus dem Aufsichtrat wurde betrieben, weil er zu offene Worte gefunden hatte und obwohl der Aufsichtsrat das einzig noch einigermaßen funktionierende Organ des Vereins war. Da mochten selbst viele ARGE-Fanclubs nicht mehr mitmachen. Und so saß dann auch der bis dato große Vorsitzende Stemmer in Mai 2006 in der Mitgliederversammlung weitgehend isoliert und wie versteinert da und erlebte bei der Delegiertenwahl neben seinem persönlichen das Debakel des ARGE-Vorstands. Teile der anwesenden ARGE-Fraktion stimmten mit PRO 1860. Alle PRO 1860-Kandidaten wurden gewählt. PRO 1860 stellte eine neue Mehrheit. Damit hatte niemand ernsthaft rechnen können. Wie sollte und wie konnte Pro 1860 diese unverhoffte Möglichkeit der Einflussnahme zum Wohle des TSV nutzen?
Es waren weder die Strukturen noch das Wissen vorhanden, mit so einer Situation umzugehen. Gut, dass durch die WM die nächste Delegiertenversammlung erst für den Herbst geplant war. Bei PRO 1860 fand sich in den nächsten Wochen eine ca. 20-köpfige Arbeitsgruppe, die das Ganze managen sollte. Die zunächst wichtigste Frage war: wer kommt als Bündnispartner in Frage? Da die Amateurabteilungen auch fast 20 Prozent der Delegierten stellen, wurden Kontakte geknüpft. Schnell stellte sich heraus, dass auch hier die Amtszeit Wildmosers tiefe Narben hinterlassen hatte. Etliche Abteilungen hatten einen ähnlichen Leidensdruck erlebt wie viele aktive Fans in den Reihen von PRO 1860; z.B. Leichtathleten, Wassersportler und Turner.
Allen voran engagierte sich der Leiter der Leichtathletikabteilung und amtierende Präsident des bayerischen Leichtathletikverbandes, Karl Rauh für eine Erneuerung des Vereins. Er war bei vielen Persönlichkeiten der Türöffner. Er war es auch, der den Kontakt zu Dr. Albrecht von Linde herstellte, der danach über viele Monate hinweg ebenso loyal wie unbeug-sam als Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten und des Schatzmeisters zur Verfügung stand. Einer der Delegierten stellte parallel dazu den Kontakt mit der »Wettberg-Gruppe« her. Einige ehemalige Spieler, darunter Martin Max, Bernhard Winkler, Thomas Miller und Daniel Hoffmann, wurden aktiv, nachdem die Fast-Pleite bekannt geworden war. Sie überzeugten Karsten Wettberg von der Notwendigkeit, sich aufgrund seiner ungebrochenen Popularität in der Löwengemeinde als Präsidentschaftskandidat zur Verfügung zu stellen. Mit der frisch erkämpften Delegiertenmehrheit im Rücken konnte PRO 1860 dieser Gruppe partnerschaftlich die dringend benötigte Power durch die Basis verleihen. Ein gemeinsames 10-Punkte-Programm wurde erarbeitet, und Kandidaten für den Aufsichtsrat wurden gesucht. Einige Plätze in diesem Schatten-Aufsichtsrat wurden bewusst freigehalten. Um die Fanspaltung zu überwinden, sollte der ARGE von Anfang an die Hand der Versöhnung gereicht werden, sie sollte mit ins Boot.
Trotz aller Anfeindungen wurde das Gespräch mit dem ARGE-Vorstand gesucht. Man wollte sich wohltuend abheben von der Zeit unter Wildmoser, in der keiner je daran dachte, mit irgendeinem Oppositionellen ein Gespräch zu führen oder ihn gar in Vereinsgremien einzubinden. Deshalb wurde dem ARGE-Vorstand etwas angeboten, was dieser selbst vom Sonnenkönig niemals bekommen hatte: Ein Sitz im Aufsichtsrat. Der ARGE-Vorstand, der den Ausgang der Wahlen offensichtlich nur als Betriebsunfall betrachtete, der sich in drei Jahren von selbst erledigen würde, lehnte ab und machte ein Gegenangebot: Ein Sitz für die ARGE, ein Sitz für PRO 1860 und den Rest sucht sich Steiner nach gewohnter Gutsherrenart aus. Es folgten weitere Gespräche, in denen der ARGE sogar noch ein zweiter Sitz angeboten wurde. Da zum damaligen Zeitpunkt Steiner noch der momentane Darling des ARGE-Vorstands war, hieß nun die Devise: »der Steiner wird es schon richten«. Steiner war allerdings nicht unbedingt der Liebling der Arbeitsgruppe, sondern wurde mehr und mehr zum Reizthema, das für immer größere Belastungen sorgte. Es war ja bekannt, dass Steiner inhaltlich weitgehend mit PRO 1860 übereinstimmt und das 10-Punkte-Programm problemlos mittragen könnte aber er war ja auch im alten Aufsichtsrat und damit als Mann Auers für einige verdächtig. Es wurden mehrere Gespräche mit Steinergeführt, die unterschiedliche Resultate zeitigten. Steiner schien sich lange nicht im klaren zu sein, welche Rolle er im Verein eigentlich spielen wollte. Ausschlaggebend für seine einstweilige Nichtberücksichtigung waren schließlich atmosphärische Störungen im persönlichen Bereich zwischen Wettberg und Steiner, die von der Presse später begierig geschürt und aufgebauscht werden sollten, allerdings nach Ende des Wahlkampfs, wie es sich unter Freunden des Vereins auch gehört, einem professionellen Umgang gewichen sind. Nachdem OB Ude seine Unterstützung erklärt hatte, wurde die neunköpfige Liste dem Wahlausschuss übergeben.
PRO 1860 ist ziemlich naiv an die Kandidatenkür herangegangen. Schließlich steht doch in der Satzung par. 13.1, dass die Delegiertenversammlung das höchste beschließende Organ im Verein ist. Und da man die eigene Mehrheit durch Delegierte von den Amateurabteilungen und aus den Reihen der ARGE sogar noch hatte ausbauen können, sollte es doch wohl das einfachste auf der Welt sein, die Liste der Mehrheit wie früher unter Wildmoser einfach durchzuwinken? Sicher nie zuvor ist die Satzung des TSV von so vielen Laien und Fachleuten so oft und so intensiv gelesen und interpretiert worden wie im Herbst 2006. Und siehe da, sie entpuppte sich als ein Meisterwerk Wildmosers, das wohl selbst Herrn Macchiavelli einen gewissen Respekt abgenötigt hätte. Ihr Paragraphengestrüpp, das Wildmoser selbst zum Machterhalt de facto nie benötigt hatte, war noch Jahre nach seinem Sturz geeignet, den Verein zu malträtieren.
Der Vereinsrat, das Gremium der Abteilungsleiter, trat auf den Plan. Ursprünglich ein durchaus sinnvolles Organ, um organisatorische und finanzielle Fragen zwischen den Abteilungen und dem Präsidium zu klären, waren ihm zwei Aufgaben zugewiesen worden, mit denen starker Einfluss auf die Vereinspolitik genommen werden konnte: Die Nachbesetzung für ausgeschiedene Aufsichtsräte und die Wahl und ggf. Nachbesetzung des Wahlausschusses. Letzteres wirkte sich nun fatal aus. Schon im September bei der fälligen Nachnominierung eines Mitglieds des Wahlausschusses zeigte man Muskeln: die Reihen blieben fest geschlossen. Nicht einmal die Fan-Ikone Franz Hell durfte im elitären Zirkel mitmachen. Selbst nach den erzwungenen Rücktritten von Volkmann und Seidl reichte es im November nicht für eine PRO 1860 nahe stehende Person. Der Wahlausschuss brauchte früher bei gleicher Rechtslage jedes Mal etwa 20 Minuten (laut seines Ex-Vorsitzenden Volkmann), um die ihm von Wildmoser vorgegebene Liste der Aufsichtsratskandidaten abzunicken. Fragen nach Vereinszugehörigkeit, nach Seriosität oder auch nur nach dem Willen, dieses Amt auch ausführen zu wollen, waren da gar nicht erst gestellt worden. Aber dieses Mal sah sich Hr.Volkmann gezwungen, ganz genau in die Satzung zu schauen. Der Wahlausschuss war geschlossen angetreten, den Verein gegen die »Bedrohung« durch PRO 1860 zu verteidigen. Was wurde den Pro1860-Kandidaten bei der hochnotpeinlichen Befragung nicht alles vorgeworfen: ihr seid undemokratisch, lasst euch von Wettberg instrumentalisieren, und in drei Jahren ist eure Mehrheit sowieso wieder weg. Angeführt oder zumindest unterstützt wurde diese Kampagne von der Geschäftsführung der KGaA, die sich eigentlich keinesfalls in Vereinsangelegenheiten einzumischen gehabt hätte.Wollen wir mal hoffen, dass der Elefant im Porzellanladen noch genug Tassen unbeschädigt gelassen hat, dass es für einen Kaffee mit dem neuen Präsidium reicht.
Pro 1860 muss sich natürlich die Frage stellen, ob es sinnvoll war, von der ARGE-Führung provoziert mit einer Strategie des alle oder keiner in den Wahlkampf zu gehen und sämtliche Sitze im Aufsichtrat des Vereins für sich einzufordern. So bot man schon anfänglich ein leichtes Ziel für Anwürfe aus dem Verein (auch wenn dieser damals bereits heimlich und intern den Wahlausschuss zu 100 Prozemt linientreu als Bollwerk ausrichtete), von Seiten der ARGE und natürlich von der Presse. Später wurden dann aus den eigenen Reihen die notwendigen Kompromisse mit bösen Beschimpfungen als windiger Konsens abgewatscht. Ähnliches gilt für die Präsidentenfrage: wäre es nicht besser gewesen, sich auf den AR zu konzentrieren und erst nach der Wahl die Kandidaten für das Präsidium zu präsentieren? Die Schmutzkampagne, die gegen Karsten Wettberg geführt wurde, war menschlich außerordentlich schäbig und fällt in erster Linie auf die Initiatoren in Verein und Presse zurück. Dennoch wäre sie vielleicht durch eine andere Strategie durch Pro1860 selbst in dieser Form vermeidbar gewesen. Auf Wettberg wurde eingetreten, weil er für Pro1860 antrat. Jedem anderen, der dies getan hätte, wäre es mit Sicherheit ebenso ergangen. Als sich die Zeichen mehrten, dass Dr. von Linde Präsident werden könnte, wurde auch er, dem im Verein und sogar in der Geschäftsführung der Tochter ein untadeliger Ruf anhaftete, plötzlich mit gehässigen Kommentaren aller Art bedacht: er sei kein Fußballer, wirke hölzern und laufe nur Wettberg hinterher.
Im Vordergrund steht natürlich die angespannte finanzielle Situation. Da sind das Präsidium und die Fachleute im Aufsichtsrat voll gefordert. Außerdem stehen alle zu dem 10-Punkte-Programm von Pro 1860. Dies ist ein Novum im Verein. Es gibt eine To-Do-Liste, und wir alle können und sollten nach angemessener Zeit nachfragen: wie weit seid ihr denn schon, woran hakt es eventuell, wie können wir euch helfen? Die Aktivisten von Pro1860, die jetzt fast ein Jahr Vereinspolitik betrieben haben, wollen wieder dahin, wo sie herkommen: zu den Fans. Organisatorisch wird versucht, interessierte Fans in verschiedene Arbeitsgruppen einzubinden, und auf diese Art die Wünsche und Erwartungen der Fans an die Vereinsführung weiterzuleiten. Es wird ein Fanforum und Fantreffen geben, und man kann davon ausgehen, dass hier regelmäßig ein persönlicher Austausch zwischen allen interessierten Fans und der neuen Führung stattfinden wird. Wir haben jetzt ein Präsidium und einen Aufsichtsrat mit dem Ohr an der Basis und sind auf einem guten Weg. Vielleicht werden wir ja eines nicht all zu fernen Tages sogar auch anderen Fans aus anderen Vereinen ein Vorbild sein können bei dem Traum, der wohl die meisten von uns eint:
Wir holen uns das Spiel zurück!
Edu
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