Loewenmut

Das Fanzine für alle Löwenfans und den Rest der Welt

Aus Heft 5: Ernst Grube – Ein Überlebender berichtet

Einmal Löwe – immer Löwe: Ernst Grube erinnert sich gerne an seine aktive Fußballer-Zeit bei der Schülermannschaft der TSV 1860 München. Hier fand er nach Verfolgung, Verschleppung und Befreiung das erste Mal Freunde, die ihn ohne Vorurteile und ohne Fragen nach seiner Herkunft akzeptierten und in ihrer Mitte aufnahmen. Natürlich ist er bis heute ein Löwe geblieben und besucht, wenn es seine Termine erlauben, den Stammtisch der »Löwenfans gegen Rechts«.


Ernst Grube, Münchner, Jahrgang 1932, Malermeister, Jugend-Fußballspieler beim TSV 1860 und bei Helios München, kam als Kind einer jüdischen Mutter mit zwölf Jahren, noch im Februar 1945, in das Konzentrationslager Theresienstadt (Terezín, Tschechien, zwischen Prag und Teplice). Am 8. Mai 1945 befreite die Rote Armee die Überlebenden.
Anfang der 80er Jahre war Ernst Grube Mitbegründer des Fördervereins »Internationale Jugendbegegnung Dachau«. Etwa seit dieser Zeit besucht er Schulen, Firmen, Vereine, spricht auf Veranstaltungen, macht Führungen durch die Gedenkstätte. Sein Terminkalender ist voll.

Löwenmut: »Die Lehrer fragen doch sicher nach der pädagogischen Intention …«

»Stimmt, danach fragen fast alle. Es gibt von mir keine vorgefertigten Ergebnisse – die jungen Leute sollen selber denken. Ich erzähle einfach meine Geschichte, und sie können Fragen stellen, sie stellen viele Fragen. Ich erzähle, was damals tatsächlich passiert ist. Nicht so sehr von der großen Politik, von den Lagern, sondern vom täglichen Leben, von dem Bereich, den die Leute selbst in der Hand haben. Meine Erfahrungen als kleiner Bub, der nicht mitspielen durfte, der 'hau ab, Saujud', der ausgegrenzt wurde, der nicht verstehen konnte, warum. Meine Mutter war aus einer jüdischen Familie, mein Vater aus einer evangelischen. Religion wurde bei uns so gut wie gar nicht praktiziert, es gab nichts, was uns von den Nachbarn groß unterschieden hätte. Im Sommer 1938 wurden wir aus unserer Wohnung in der Herzog-Max-Straße vertrieben – die Nazis hatten die dortige Synagoge abgerissen und die Häuser der jüdischen Gemeinde enteignet – und ich kam zusammen mit meinen zwei Geschwistern in das Jüdische Kinderheim in Schwabing. Wenig später mussten wir den Judenstern tragen, durften nicht mehr Trambahn fahren, durften nicht mehr in den Park, ins Freibad, nicht mehr in die Schule, bekamen keine Lebensmittel-Marken. Dann mussten jüdische Männer das Lager in der Knorrstraße bauen, wo wir anschließend eingesperrt wurden. Bei all dem haben die Münchner zugeschaut, auch als wir später abtransportiert wurden. Wir gehörten eben nicht dazu, wir waren den Leuten bestenfalls egal.«

»Das mit der Ausgrenzung hat nach dem Krieg aber aufgehört?«

»Bei den Fußballern gab es das tatsächlich nicht. Da galt, 'elf Freunde sollt ihr sein', da gab es Kameradschaft, ohne dass irgendwer gefragt hätte, wo man her kommt. Das war eine ganz neue Erfahrung für mich, das hat mir sehr gefallen. Aber sonst – sonst wurde weiter ausgegrenzt. Wenn ich erzählt habe, dass mich die Russen gerettet haben, dann hat es gleich geheißen, 'Kommunist', auch wegen meiner Mitgliedschaft bei der VVN (Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes). Ich bin immer bei den Tatsachen geblieben: Es war die Rote Armee, die die Lager im Osten befreit hat. Wenn die Russen nicht gewesen wären, wären wir nicht mehr am Leben.«

»2005 war das Jahr der Gedenkfeiern, der 8. Mai war der 60. Jahrestag der Befreiung aus Theresienstadt …«

»Da war ich natürlich als Zeitzeuge sehr gefragt. Eigentlich mag ich den Begriff nicht, er unterscheidet nicht zwischen Tätern und Opfern. Meine Geschwister und ich waren Opfer eines Verbrechens, wir haben das nur mit viel Glück überlebt. Ich habe gerade diesen Jahrestag zum Anlass genommen, besonders den jungen Menschen aufzuzeigen, was passiert wäre, wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte.«

»Meine Großeltern und andere Verwandte haben immer erzählt, sie hätten von allem nichts gewusst, vor allem nicht von der Sache mit den Lagern …«

»Es geht nicht darum, ob die Menschen die genauen Details gewusst haben über die Lager und über die Formen des Tötens. Ganz bestimmt haben alle gewusst, erlebt, wie ihre jüdischen Nachbarn bei Nacht und Nebel abgeholt wurden. Sie haben erlebt, wie wir verfolgt wurden. Jeder hat gewusst, was die Nazis vor hatten – Hitler, Göbbels und Himmler haben in ihren Reden immer wieder betont, dass sie die Juden vernichten wollen.«

»Wie ist das mit jungen Neonazis in den Schulen?«

»Lehrer warnen mich manchmal vor 'problematischen Schülern'. Doch sind die meistens sehr still, wenn ich erzähle, manche hören sogar interessiert zu. Wenn die zuhören und vielleicht nachdenken, ist schon viel gewonnen. Ich glaube nicht, dass die jungen Leute, die sich solchen Gruppen oder Organisationen anschließen, die ganze Wahrheit kennen. Sie werden belogen, absichtlich. Insgesamt habe ich bei meinen Gesprächen mit Jugendlichen gute Erfahrungen gemacht.«

»Was für Fragen stellen die Schüler im allgemeinen?«

»Das ist unterschiedlich. Gymnasiasten fragen schon eher nach den großen Zusammenhängen und benutzen Begriffe, die ich mir manchmal erst erklären lassen muss. Sonst fragen die meisten nach persönlichen Dingen, was für mich besonders schlimm war, wie wir Kinder das überhaupt verkraftet haben. Die Schüler realisieren ganz genau, dass wir damals Kinder waren, so wie sie vor Kurzem, sie wollen wissen, was wir gedacht und gefühlt haben. Es wird soviel 'kindgerecht aufbereitet', so viel Schmarrn erzählt, so viel verschwiegen – sie sind dankbar, wenn man sie nicht für blöd hält. Sie haben ein Recht darauf, die Tatsachen zu erfahren, ernst genommen zu werden. Und sie sind sehr interessiert, an allem, nicht so wie manche Erwachsene.«

»Stichwort 'schweigen' – nach dem Krieg war lange kaum ein Wort über das III. Reich zu hören, auch bei uns in der Schule wurde noch betreten darüber hinweg unterrichtet …«

»Ja,das stimmt. Zum einen hatten die Täter guten Grund, zu schweigen, zum anderen wurde ja der neue Staat, die Bundesrepublik, aus dem Kreis dieser Täter aufgebaut. Richter, die Schandurteile gefällt hatten, wurden nicht entlassen. Schuldirektoren blieben im Amt. Überzeugte Nazis kamen in hohe, verantwortungsvolle Regierungspositionen – ich denke hier etwa an Hans Globke (Chef des Bundeskanzleramts unter Adenauer, entwarf im III. Reich als Leiter des 'Büros für jüdische Angelegenheiten' die Nürnberger Rassengesetze). Beim Aufbau der Bundeswehr griff man auf 'ost-erfahrene' Nazi-Generäle zurück. Vor diesem Hintergrund konnte man natürlich schlecht die Verbrechen dieser Menschen gesellschaftlich thematisieren. Heute wird viel offener über diese Zeit gesprochen. Als ich meinen Vater nach Kriegsende wieder sah, waren seine ersten Worte: 'Erzähle allen davon, ob sie es hören wollen oder nicht'. Leider wollten die meisten Menschen nicht hören, was so ein jüdisches Kind während der Nazi-Zeit erleben musste. Mein Eindruck war, die haben im Stillen dem verlorenen Krieg nachgetrauert.«

»Gegen das Vergessen – was bedeutet das für die heutige Zeit?«

»Ich sehe, dass sich manches wiederholt, nicht nur in Ansätzen. Antisemitismus wird immer offener gezeigt, Fremdenhass ebenso. Neonazis, alte und junge, terrorisieren immer wieder Minderheiten und Andersdenkende – bisher wurden über 150 ausländische Menschen und sozial Schwache von Neonazis ermordet. Die sozialen Schwierigkeiten werden von interessierten Kräften heute wie damals dazu benutzt, nationale und faschistische Ideen insbesondere unter die jungen Leute zu bringen. Das Erinnern an die Verbrechen der Nazis soll mahnen und warnen. Wir können vor unserer Geschichte nicht davon laufen, wir können nicht sagen 'das geht uns nichts an'. Wir haben erfahren, zu welchen furchtbaren Konsequenzen Ausgrenzung, Intoleranz, Rassismus, Antisemitismus und diese spezielle deutsche Variante nationaler Überheblichkeit führen. Die Ausgrenzung ist noch lange nicht vorbei, und damit auch die Gefahr, dass sich wiederholt, was mir passiert ist. Deswegen erzähle ich meine Geschichte, vor allem den jungen Leuten. Ich will informieren. Ich will, dass die Menschen selbst nachdenken, und dass sie danach handeln, im politischen wie im alltäglichen Leben.«

JK


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